Sanskr. atman, Hülle, Leib, Hauch, Seele, der lebensnotwendige Luftstrom, der in die Lunge eingesogen und wieder ausgestoßen wird. Bei vielen Völkern wird der A. mit der Lebenskraft und auch der Seele eines Menschen in Verbindung gesetzt. So lässt sich Atem je nach Kontext als Hauch, Rhythmus, Leben, Seele und Geist definieren.
In Indien, wo Atem das Wort für Persönlichkeit, die Lebenskraft und die Seele (atman) ist, gab es bereits in der vedisch-brahmanischen Periode Sitz- und Atemübungen, die besonders mit der Silbe > Om (entstanden aus a-u-m, einem Urlaut beim intensiven Ausatmen) ausgeübt wurden. Eine wichtige Schlüsselrolle spielt die Atmung vor allem bei der > Meditation und im > Yoga. Der Fluss des A.s wird dabei bewusst beobachtet und gesteuert und in vielen unterschiedlichen Techniken gelehrt. So zeichnet sich etwa der > Kriya-Yoga, der älteste überlieferte Yoga überhaupt, durch eine Dreiteilung der Atmung aus: Einatmen, Anhalten des A.s und Ausatmen. Mit der veränderten Atmung treten auch veränderte Bewusstseinszustände auf.
Im Hebräischen ist es > Ruach, der von Gott geschaffene Geist, der dem Menschen das Leben gibt. Ähnlich bezeichnet in der islamischen Sichtweise Ruh, Atem oder Wind, eine göttliche Ausstrahlung, die als Lebenskraft die körperlichen und geistigen Prinzipien menschlichen Seins verbindet.
Die Griechen sprechen von der „Atemseele“, der Psyche (psychein, hauchen), die beim Tod als Atem durch den Mund entweicht. Ist sie gut, steigt sie in den Himmel; ist sie böse, wird sie vom Totengeist gefressen. Durch dem Atem werden den Sterblichen magische und göttliche Kräfte übertragen. Für die Römer ist es Pflicht, dass der nächste Verwandte den letzten Hauch des Sterbenden einatmet, damit dessen Geist weiter existiere.
In der christlichen Ostkirche ist der > Hesychasmus eine Atemmethode, bei der der Atem angehalten, das Kinn auf die Brust gedrückt, der Blick auf die Leibesmitte gesenkt und dabei unaufhörlich das Jesusgebet gesprochen wird.
Mit dem letzten Atemzug verlässt die Seele den Körper, auch wenn dieses älteste weltweite Wissen der Menschheit im 20. Jh. vor allem im Zusammenhang mit den Herztransplantationsversuchen des südafrikanischen Arztes Barnard seit den 60er Jahren durch den „klinischen Tod“, den sog. Hirntod, der jedoch nur einige der vielen Gehirnfunktionen berücksichtigt, ersetzt wurde. Man brauchte eine Legitimation für die Entnahme von Organen noch lebender Menschen, denn ein vollkommen totes Herz konnte einem Kranken nicht eingepflanzt werden. Wenngleich die > Schulmedizin diese Todesdefinition übernommen hat, so ist doch das überlieferte Wissen von der entscheidenden Bedeutung des Atems für lebende Wesen weiterhin erhalten geblieben und verbreitet.
Ganz unabhängig von östlichen Meditationstechniken bemerkte z.B. auch der schwedische Seher E. > Swedenborg vor seinen Visionen eine veränderte Atmung.
Diese Kenntnisse der Bedeutung der Atmung für Lebenskraft, Gesundheit und Bewusstsein erweitern die individuellen Erfahrungen und wirken sich somit auf die Identität des Menschen aus. Hier hat wiederum die Esoterik ein breites Betätigungsfeld gefunden, wobei nur zu oft der Atem auf die Technik der Selbsterfahrung reduziert wird.
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